Bokeh in der Sachliteratur. Zum Verschwimmen der Tiefenschärfe in Momenten größter Nähe. Eine interkulturelle Untersuchung

In der Literatur – und damit auch in der Literaturtheorie – wird davon ausgegangen, dass der Autor nicht mit dem Erzähler identisch ist. Bei allen Sachbuchgattungen scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Hier scheint es unerlässlich, dass der Autor – beispielsweise in einer Reportage – mit dem Erz...

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Bibliographic Details
Main Author: Matthias Fechner
Format: Article
Language:English
Published: Yuriy Fedkovych Chernivtsi National University 2025-08-01
Series:Pitannâ Lìteraturoznavstva
Subjects:
Online Access:http://pytlit.chnu.edu.ua/article/view/337911
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Description
Summary:In der Literatur – und damit auch in der Literaturtheorie – wird davon ausgegangen, dass der Autor nicht mit dem Erzähler identisch ist. Bei allen Sachbuchgattungen scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Hier scheint es unerlässlich, dass der Autor – beispielsweise in einer Reportage – mit dem Erzähler identisch ist und (in der Regel) die Handlung selbst mitverfolgt hat. Dennoch könnte man argumentieren, dass die überwiegende Mehrheit der Sachtexte in narrativen Prosagenres (wie Berichte, Biografien oder Autobiografien) fiktionale Elemente enthält. Entscheidend ist dabei nicht nur die bewusste Begrenzung der Erzählung (negativ: Framing), sondern vor allem die Erzählperspektive und insbesondere die Feinabstimmung ihrer Beschreibungen. Doch genau an den Stellen, an denen der Sachtext äußerst präzise sein sollte, verschwimmt der Fokus – er verschiebt sich zurück in die Fiktion; ähnlich wie bei einem Fernglas, dessen Schärfentiefe unscharf wird, wenn die Feineinstellung zu stark angezogen wird. Oder wie in der Fotografie, wo die Qualität des unscharfen Bereichs, wie beispielsweise beim Bokeh (aus dem Japanischen: 暈け/ボケ), bewusst gestaltet werden kann. In meinem Artikel konkretisiere ich diese Thesen anhand von zwei Fallstudien aus der deutsch- und englischsprachigen Sachliteratur – Katherine Boos Behind the Beautiful Forevers (2012) und Günter Wallraffs Schwarz auf Weiß – und versuche, einen Ansatz zu entwickeln, der zur Ergänzung der Literaturtheorie beitragen könnte. In einer abschließenden interdisziplinären Exkursion versuche ich, Fiktionalisierungen in der Wirtschaftswissenschaft herauszuarbeiten, wobei ich Beispiele aus Peter Bofingers Grundzüge der Volkswirtschaftslehre heranziehe, dort insbesondere Adam Smiths Darstellung der Nadelproduktion und die Robinson-Crusoe-Ökonomie zur Erklärung der Arbeitsteilung und der komparativen Kostenvorteile.
ISSN:2306-2908